Die kulturelle Geschichte Kölns ist ohne Zweifel beeindruckend. Die Stadt ist seit Jahrhunderten ein künstlerisches Zentrum und überlebte in den letzten hundert Jahren auch äußerst turbulente Zeiten. Doch während die meisten Menschen bei Köln an dessen reiche Geschichte und seine Kulturinstitutionen denken, sind sich nur wenige der Bedeutung dieser westdeutschen Stadt für die urbane Kunst bewusst.
Nachdem sich Köln von den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges erholt hatte, entwickelte sich die Stadt zu einem der zentralen Handelszentren für zeitgenössische Kunst in Europa. Dies insbesondere auch als Geburtsstädte der Art Cologne und seiner Satellitenmessen. Und obwohl sich zeitgleich eine subversive Kunstszene entwickelte, machte sich Street Art erst im letzten Jahrzehnt wirklich in der lokalen Kunstszene bemerkbar. Neues kreatives Potenzial erwachte mit der Gründung von CityLeaks, dem führenden Festival für urbane Kunst, und die Szene wuchs rapide. Köln ist stolz darauf, dass ganze Viertel durch Street Art bunter werden und sich immer mehr Galerien auf diese künstlerische Ausdrucksform spezialisieren.
Obwohl Köln (noch) nicht mit dem Ruf Berlins mithalten kann, wird die Stadt mehr und mehr als Standort der öffentlichen und urbanen Kunst anerkannt. Wir sprachen mit drei lokalen Expertinnen auf diesem Gebiet – Anne Scherer, auch bekannt als „Die Kunstagentin“, Iren Tonoian, Mitbegründerin des CityLeaks Festivals, und Saskia Rode, Kunsthistorikerin bei 30works – und lernten dabei viel über Kölns zeitgenössische Kunstwelt.
Von der Graffiti-Provinz zur Metropole für urbane Kunst
Zunächst stellt sich die Frage nach dem Ursprung der urbanen Kunst in Köln. Wie und wo entstand sie? Betrachtet man die aktuelle Situation, ist es offensichtlich, dass sie Vorläufer hatte. Gleichzeitig scheint es bis vor kurzem keine große Bewegung in der Stadt gegeben zu haben.
Saskia Rode, Kunsthistorikerin bei 30works, liefert einen historischen Überblick: „Wie in anderen Großstädten der Welt, hat sich die urbane Kunst in Köln in den letzten Jahrzehnten merklich ausgedehnt. Sie wurde zu etwas Alltäglichem in den Subkulturen. Heutzutage ist sie ein Sprungbrett für junge unbekannte Künstler, welche versuchen auf dem Kunstmarkt Fuß zu fassen. Indem die urbane Kunst Teil des Mainstreams wurde, verlor sie zu einem gewissen Maß ihre politische Brisanz und zeigt sich dafür in vielfältigeren künstlerischen Ausdrucksformen. Urbane Interventionen, Urban Knitting, Adbusting, Paste-Ups – sie alle bereichern den Stadtraum und sind wunderschöne Ergänzungen zu Sprühfarbe, Graffiti und Schablonen.“
Anne Scherer, eine der führenden Galeristinnen für urbane Kunst und Street Art, unterstützt die These, dass die wichtigsten Entwicklungen der Szene erst kürzlich stattfanden. „Abgesehen von der Graffiti und Trainwriter Szene, hat Köln lange Zeit keine bemerkenswerte Rolle in der Urban Art Szene gespielt. Jedoch seit der ersten Ausgabe des CityLeaks Festivals im September 2011 hat sich die Stadt zu einer der spannendsten Urban Art Metropolen in Deutschland entwickelt, die inzwischen auch international große Beachtung findet.“
Köln und seine aktuelle, im öffentlichen Raum wirkende, Kunstszene
Die Entwicklung der Kunst im öffentlichen Raum in Köln verläuft nicht ohne Probleme. Die Dominanz Berlins in diesem Bereich ist wirtschaftlichen Gründen geschuldet. Es ist möglicherweise schwieriger, Street Art in einer Stadt zu produzieren, deren Lebenskosten höher sind. Wer auf der Suche nach neuer zeitgenössischer Kunst ist, muss wohl den bereits ausgetretenen Pfad verlassen. Doch die Reise sollte sich lohnen, denn „Köln besitzt so viele hässliche Ecken, dass die Stadt, denke ich, sehr einladend ist für Kunst im öffentlichen Raum“, teilt uns CityLeaks Gründerin Iren Tonoian mit einem Lachen mit.
Auch Anne Scherer ist der Meinung, dass die unattraktiven und deshalb bezahlbaren Lebensräume immer ein Zufluchtsort für Künstler waren. „Köln ist traditionell eine sehr weltoffene und tolerante Stadt in der sich in der Nachkriegszeit eine florierende Kunstszene angesiedelt hat. Leider hat sich das geändert, als es für Künstler zunehmend schwieriger wurde, in Köln bezahlbare Atelierflächen zu finden. In den letzten beiden Dekaden sind viele Künstler in andere Städte abgewandert, insbesondere nach Berlin, da die Umstände in Berlin nach der Wiedervereinigung den Künstlern bessere Bedingungen und mehr Möglichkeiten geboten haben.“
Saskia Rode spricht das Problem an, dass die ökonomische Situation die Qualität der öffentlichen Kunst beeinflusst, da in vielen Fällen Kompromisse gemacht werden müssen: „Trotz der Sichtbarkeit für die Bürger, betrifft öffentliche Kunst immer auch die privaten Eigentümer. Auftragsarbeiten an Wänden oder anderen Orten sind eine Möglichkeit, großflächige Kunst noch weiter zu verbreiten. Aber die Einbindung von mehr Menschen bedeutet ebenso häufig, Zugeständnisse machen zu müssen – manchmal zum Nachteil der künstlerischen Sache. Diese Kommerzialisierung muss im Blick behalten werden, auch wenn sie für einen individuellen Künstler Wachstum und Unterstützung bedeuten könnte.“
Dies sind nur einige Probleme der Kunst im öffentlichen Raum in Köln, mit denen sich Fachleute konfrontiert sehen, wenn sie versuchen Flächen und freie Ausdrucksmöglichkeiten für Künstler bereitzustellen und ihnen dadurch eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.
Ehrenfeld, Belgisches Viertel und Mülheim – Die Zentren der urbanen Kunst
Wir sprachen davon, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Doch wo in Köln findet man diese lebhafte und aufregende Street-Art-Szene? „Ich denke sie konzentriert sich hauptsächlich auf Ehrenfeld und in der Innenstadt auf das Belgische Viertel“, hören wir von Iren Tonoian. Sie fügt hinzu: „Aber man kann überall in der Stadt Street Art finden, in jeder Nachbarschaft!“ Anne Scherer stimmt mit der Auswahl überein und spricht davon, dass man in diesen Vierteln „eklektische urbane Kunst“ entdecken kann. „Seit dem CityLeaks Festival 2015 gibt es auch einige tolle Wände in Köln-Mühlheim“, ergänzt sie.
Auch Saskia Rode ist mit dieser Einschätzung vollauf einverstanden, und fügt hinzu, dass „die besten Orte für urbane Kunst die Heliosstraße und die Gegend um den Ehrenfelder Bahnhof“ sind.
Kölns eigene Künstler: Vom Bananensprayer bis zu den gestalterischen Kräften von Heute
Im Rückblick auf die Anfänge der öffentlichen Kunst in Köln, und in diesem spezifischen Fall auf die Street Art, steht eine Person deutlich im Vordergrund. „Der wohl bekannteste Street Art Künstler Kölns ist der „Bananensprayer“ Thomas Baumgärtel. Seit 1986 markiert er Kunstorte wie Museen oder Galerien auf der ganzen Welt mit seinen Bananen-Stencils. Jedes Museum und die meisten Galerien in Köln sind mit seiner Banane gekennzeichnet.“ sagt Anne Scherer, und ergänzt: „Darüber hinaus ist das Kollektiv „Captain Borderline“ mit den meisten Wänden in Köln (insbesondere in Ehrenfeld) vertreten.“ Und während alle der Bedeutung von Thomas Baumgärtel für die lokalen Street Art Szene zustimmen, erfahren wir in unserem Interview zugleich mehr über die Fülle der historischen und gegenwärtigen Akteure dieser Kunstrichtung.
Saskia Rode gibt uns einen kleinen kunsthistorischen Überblick: „Kölns urbane Künstler sind zahlreich und gehören den verschiedensten Generationen an. Ein weiterer politischer Künstler aus den 80er Jahren [neben dem Bananensprayer] ist Klaus Paier, welcher Wände in Köln und Aachen bemalt hat. Xxxhibition zum Beispiel begann mit dem Besprühen von Wänden in den 80ern und 90ern, und kreiert jetzt auch Kunstwerke für Ausstellungen. Oder seiLeise, welcher seine Karriere mit dem außergewöhnlichen Reverse Graffiti begann und jetzt ein anerkannter Stencil Künstler ist. Insbesondere im letzten Jahrzehnt haben Künstler aus aller Welt ihre Spuren in Köln hinterlassen. Die zentrale Aussage der Kunst wirkt in beiden Umgebungen – drinnen und draußen.“ Joiny, Straßenmaid, Planet Selfie und Heroart werden ebenso von Rode als bemerkenswerte Künstler erwähnt. Sie fügt hinzu, dass Köln „reich“ an diesen „Schmuckstücken der urbanen Kunst“ sei.
„Oh, es gibt so viele Künstler hier“ schwelgt auch Iren Tonoian in Erinnerungen und gibt gleichzeitig einen tieferen Einblick in die Szene. „Viele kamen aus der Perfomance Kunst wie Stefanie Klingemann, katze und krieg oder Angry Hiesl Produktion – eine sehr berühmte Gruppe hier aus Köln. Auch die PAERsche Gruppe arbeitet für gewöhnlich im öffentlichen Raum. Zahlreiche Künstler der Kunsthochschule für Medien in Köln arbeiten ebenso in der Öffentlichkeit. Ich denke, dass es heutzutage sehr beliebt ist, im öffentlichen Raum zu arbeiten, insbesondere wenn man ein Performance oder Konzeptkünstler ist, weil man so einem Publikum begegnet, welches einen nicht erwartet“, fügt sie hinzu und beweist damit, dass der öffentliche Raum nicht nur für subversive Kunst und die neuesten Bewegungen reserviert ist. Als Kunstliebhaber in Köln ist es ratsam, die Augen offen für neue Kreationen zu behalten und zugleich die wichtigsten Institutionen und Events zu verfolgen, um die verschiedenen Formen der vergänglichen öffentlichen Kunst wahrzunehmen.
Wohin entwickelt sich die urbane Kunst in Köln?
Da einige Künstler in andere, erschwinglichere Städte geflohen sind, und die öffentliche Kunst zugleich verschiedene Ausdrucksformen erlaubt, fragten wir unsere Gesprächspartnerinnen nach ihrer Zukunftsvision für die lokale Szene. Aus der Perspektive der Malerei im öffentlichen Raum sprechend, verweist Anne Scherer auf den enormen Wert der heutzutage geschaffenen Kunst. „Die Messlatte ist in den vergangen 5 Jahren durch die namhaften Künstler, die hier waren, bereits sehr hoch gesetzt worden. Seit dem es das CityLeaks Festival gibt, sind auch die illegalen Zeichen in der Stadt qualitativ hochwertiger geworden. Ich hoffe dass Köln in den nächsten Jahren noch einige großartige Wände hinzugewinnen wird.“
„Die urbane Kunstszene wird von Minute zu Minute globaler“, merkt Saskia Rode richtigerweise an. „Festivals und Galerien für urbane Kunst laden Künstler aus aller Welt ein, während die lokalen Künstler umherreisen und ihre Kunst auf der ganzen Welt verbreiten. Street Art aus Köln kommentiert nicht nur die europäische Politik, sondern auch die Politik auf anderen Kontinenten. Zugleich kann man beispielsweise Wände in Neuseeland finden, welche die Politik an ganz anderen Orten kritisieren.“ Tatsächlich betrifft die universale Natur der urbanen Kunst alle ihre Zentren, und Künstler kommunizieren und tauschen ihre Ideen mehr als jemals zuvor. „Das wird die Szene mehr und mehr zu einer gemeinsamen Ausdrucksform führen, die sich in vielfältiger Art und Weise auf unseren Zeitgeist bezieht“, bemerkt Saskia abschließend.
Förderung der Kunst im öffentlichen Raum
Das bereits erwähnte CityLeaks Festival ist mit Sicherheit eines der wichtigsten Events für die Kunst im öffentlichen Raum. Iren Tonoian fasst die Veranstaltung kurz für uns zusammen: „Das Festival findet alle zwei Jahre statt. Wir konzentrieren uns auf konzeptionelle Kunst im öffentlichen Raum. Wir laden viele Hacker Künstler ein und einige Maler kreieren Wandgemälde. Auch Installations- und Performance Künstler werden eingeladen. Und natürlich laden wir offen zu Video-Mapping und Performance im öffentlichen Raum ein.“
Die ehemalige CityLeaks Kuratorin Anne Scherer fügt hinzu: „Das als Biennale stattfindende Festival hat zahlreiche Größen der internationalen Urban Art Szene nach Köln eingeladen und ihnen ermöglicht, hier großformatige und vor allem auch legale Wände zu gestalten. Durch die kuratorische Arbeit und die optimalen Bedingungen, die CityLeaks den Künstlern bietet, sind in Köln zahlreiche Murals in einer sehr hohen Qualität entstanden.“ Auch für sie gehört diese spezielle Biennale zu den Must-See-Veranstaltungen in Köln.
Die Urban Art Section der KÖLNER LISTE möchte die Aufmerksamkeit jüngerer Sammler wecken und all jener, die sich für zukunftsweisende Kunst interessieren. Wir regen natürlich alle unsere Besucher dazu an, während ihres Aufenthaltes in der Stadt die vielfältige Welt der urbanen Kunst Kölns zu genießen.
Die KÖLNER LISTE findet vom 22. bis 24. April in der XPOST Köln statt.