News

„Zivilen Ungehorsam“ initiieren • Jordan Seiler an der Berliner Liste

Jordan Seiler ist ein Street Artist mit Visionen. Er nutzt seine Projekte und Installationen, um die Gesellschaft und die Menschen darauf aufmerksam zu machen, wie wir durch Außenwerbung und die Großkonzerne dieser Welt in unserem Denken und Handeln gesteuert und manipuliert werden. Seine Arbeiten sollen wachrütteln, motivieren – überzeugen jedoch auch in ihrer Erhabenheit und Ästhetik. An der Berliner Liste wird er seine aktuelle Serie „Collisions“ vorstellen.Heutzutage ist jede Hauptstadt übersät von Außenwerbung aller Art, die unweigerlich über die Jahre Teil unseres kollektiven, öffentlichen Bewusstseins geworden ist. Es ist unmöglich sie zu ignorieren, weil sie an jeder Ecke zu sehen ist – manche der Reklamen erstrecken sich über riesige Billboards. Angesichts diesen wachsenden Trends hat sich eine Bewegung von Künstlern und Aktivisten formiert, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Kontrolle über unsere sichtbare Umwelt wieder zurück zu gewinnen. Einer dieser politisch motivierten Künstler ist Jordan Seiler, der Gründer der „PublicAdCampaign“. Dieser in New York lebende Künstler begann im Jahr 2000 öffentliche Anzeigen mit künstlerischen Mitteln zu verändern, nachdem ihm die Idee kam Grundmuster oder beruhigende Bilder zu verwenden, um aggressive und allgegenwärtige Anzeigen zu überdecken. Obwohl seine Arbeit zunächst ein reines Street Art Projekt war, entwickelte es sich im Laufe der Zeit zu einem wirksamen Instrument, um gegen diese aggressiven Werbestrategien kritisch vorzugehen. Seiler stellte auch regulär aus und nahm im Juli 2015 an einer wichtigen Doppelausstellung mit seinem Künstlerkollegen Vermibus teil, welche die führenden Talente dieses öffentlichen Kunstsubgenres des sog. „ad-takeover “ zusammenbrachte. Zuletzt hat Jordan Seiler im Jahr 2016 an einer neuen Serie namens „Collisions“ gearbeitet, die für den Künstler von wachsender Bedeutung ist, da sie Außenwerbungsflächen mit seiner Kunst erst aktiviert. Diese Serie zeichnet sich durch einfache Abstraktionen aus, die sich in stark frequentierten städtischen Gebieten unter einem Meer von visuellen Reizen abheben. Seilers neueste Arbeit wird in der Urban Art Section der Berliner Liste 2016 präsentiert und vor dem Messeopening haben wir uns entschlossen mit Jordan über seinen Werdegang als Künstler zu sprechen, als auch über seine Zukunftspläne und Erwartungen in Bezug auf die Kunstmesse Berliner Liste.

Jordan, dein Interesse Außenwerbeflächen mit deiner Kunst zu beleben begann in den frühen 2000er Jahren, während du an der Rhode Island School of Design noch Fotografiestudent warst. Wer hat dich zu Beginn deiner künstlerischen Laufbahn am meisten beeinflusst?

Jordan Seiler: Als Fotografiestudent war ich stark beeinflusst von den grafischen Arbeiten Ralph Gibsons. Es gab andere, aber er zeichnete sich für mich über die Jahre als wichtigster Einfluss ab. Als ich in der Öffentlichkeit zu arbeiten begann, fing ich an mich für Künstler wie Krzysztof Wodiczko und John Ahearn zu interessieren, von denen ich mir noch heute meine Inspirationen hole.

Es braucht viel Mut, um Plakate und ähnliche öffentliche Anzeigen zu kentern und sie in sinnvolle Kunstwerke zu verwandeln. In dieser Zeit hast du deine Projekte gestartet, warst du alleine oder hattest du eine Gruppe von gleichgesinnten Unterstützern?

JS: Ich war alleine und wusste zu der Zeit noch wenig über illegale Street Art bis zu meinem letzten Jahr in der Schule. Am Anfang, als ich eines meiner Bilder über einer U-Bahnwerbung hängen sehen wollte, fragte ich noch meine Freunde oder meinen Vater mir dabei zu helfen.

Wurdest du jemals von der Polizei erwischt, während du an den Billboards gearbeitet hast und wenn ja wie bist du mit den Konsequenzen umgegangen?

JS: Ich wurde sogar mehrere Male erwischt und ich habe das jedes Mal anders gehändelt. Am Anfang entschuldigte ich mich bei der Polizei und erklärte warum ich illegal Werbung entfernte. Meistens wollten sie mich ins Gefängnis stecken. Heute tarne ich mich als Unternehmensarbeiter und werde fast nie gestoppt. Wichtiger noch ist, ich nutze meinen vollständigen Namen und wahre Identität on und offline um Eigentumsansprüche auf meine Arbeiten zu erheben. Ich denke das ist ein bedeutender Schritt in meiner Entwicklung, weil ich hinter meiner Überzeugung stehe, dass der öffentliche Raum nicht dafür genutzt werden soll Konsumverhalten zu erzeugen. Damit setze ich mich zwar der Lage aus jederzeit gefasst zu werden, auch wenn ich gerade nicht dabei bin eine Installation zu machen, doch ich denke das gibt meinen Forderungen insgesamt mehr Gewicht.

Jordan Seiler – Polkadot Trigger

2015 hattest du eine Doppelausstellung mit Vermibus, ein anderer bekannter Urban Artist und Aktivist. Habt ihr euch vor der Ausstellung getroffen und abgesprochen? Habt ihr Gemeinsamkeiten in Bezug auf eure Kunst oder der Kritik gegenüber Werbestrategien?

JS: Vermibus und ich kennen unsere Arbeiten voneinander, wir haben uns vor der Ausstellung in 2015 über Email ausgetauscht und teilen einige Kritikpunkte gegenüber Außenwerbung und dessen Wirkung auf unsere Gesellschaft. Ich glaube man kann mit Sicherheit sagen, dass wir beide hoffen Bewusstsein dafür zu schaffen, wie Werbung im öffentlichen Raum uns beeinträchtigt, weil wir der Meinung sind, dass es uns in unserem Verhalten gegenüber uns selbst und den anderen negativ beeinflusst.

Du bist ursprünglich aus New York, bist jedoch viel gereist und hast in vielen Städten der USA und in Europa gearbeitet. Gibt es nach deinen aktuellen Erfahrungen wesentliche Unterschiede zwischen öffentlichen Anzeigen in Europa und den USA und die Art wie sie präsentiert werden?

JS: Ich denke, die erschreckendste Sache beim Reisen ist, zu erkennen, wie ähnlich die Werbeinfrastrukur in den meisten europäischen und amerikanischen Städten ist. Jede Stadt hat Bushaltestellen, Großwerbeflächen und U-Bahnwerbung, die von einer handvoll von multinationalen Unternehmen betrieben werden, die noch größeren Werbekonzernen gehören und überall denselben Mist bewerben. Auch die Städte, wo ich die Sprache nicht spreche, oder nie zuvor gewesen war, scheinen aufgrund der Allgegenwart der Außenwerbung vertraut.

Die schwarz-weiß-Fotos deiner öffentlichen Interventionen sind wirklich hervorragend. Fotografierst du deine Arbeiten selbst oder arbeitest du mit Fotografen zusammen?

JS: Ich bin als Fotograf ausgebildet und habe meine eigenen Installationen immer dokumentiert, weil es natürlich einfacher so war. Bei meiner jüngsten Collisions-Serie gehe ich einen Schritt weiter und die Dokumentation selbst ist die künstlerische Arbeit, indem ich meine Installationsorte sehr sorgfältig ausgewählt habe und viel Zeit in die Aufnahme der Szenerie investiert habe.

Jordan Seiler - Presse Trigger - Courtesy of the artist

Jordan Seiler – Presse Trigger

Es muss spannend sein, die Gesichter der Passanten zu beobachten, wenn sie zum ersten Mal feststellen, dass öffentliche Anzeigen durch deine einfachen, doch sehr ansehnlichen Kunstwerke ersetzt wurden. Kannst du uns die Mischung der Gefühle beschreiben, die du in der Regel von ihren Gesichtern abliest?

JS: Es ist schwer die Aufmerksamkeit auf einen Werbeersatz zu ziehen, weil sie es für gewöhnlich vermeiden dort hinzuschauen und die Bedeutung von Werbung verstehen wollen. Auch, weil die Menschen wissen, dass sie für kommerzielle Zwecke abgelenkt und manipuliert werden, was bestenfalls ärgerlich und schlimmstenfalls ein Akt der Gewalt ist. Die Super-Grafik der schwarz-weiss Bilder der Collisions-Serie sind ein Versuch, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen, ohne etwas von ihnen zu verlangen, an diesem Novum erkennen sie eine Störung und Veränderung. Wenn sie das bemerken, lächeln die meisten.

Anlässlich unserer Kunstmesse Berliner Liste 2016 präsentierst du deine neueste Serie namens Collisions. Kannst du uns ein bisschen mehr über diese Serie erzählen? Ist es eine Erweiterung deiner bisherigen Arbeit?

JS: Ich betrachte alle meine Projekte als eine Erweiterung meiner begonnenen Arbeit im Jahr 2000 und das damit verbundenes Interesse klar zu machen, wie Werbung öffentliche Flächen nutzt und verändert. Collisions ist Teil dessen, was ich für meine persönliche öffentliche Arbeit halte, in dem ich auf die Straße gehe und Außenwerbung mit meinen eigenen Bildern ersetze. Ich organisiere auch wesentlich größere Projekte „zivilen Ungehorsams“, die den Zusammenschluss vieler hunderter Menschen mit einbeziehen. Meine persönliche Öffentlichkeitsarbeit bestand immer darin, die Menschen auf diese Intervention aufmerksam zu machen und es zu erreichen, dass sie sich fragen, warum dieser Eingriff geschieht. Ich versuche zu verändern, wie Menschen Außenwerbung wahrnehmen, in der Hoffnung, dass sie es für sich selbst begreifen, dass diese aggressive Macht beseitigt werden muss. Die Collisions-Serie ist einer der effektivsten Versuche dies zu erreichen und zehrt sich natürlich auch von meinen vielen Jahren der Erfahrung auf der Straße. Die Dokumentation meiner Performances, die Wahl der Lokations, die Komponente der erweiterten Realitätswahrnehmung und das Einbeziehen der Öffentlichkeit in meine Fotografien ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen, meine Fähigkeiten und Interessen zu schulen.

Nimmst du das erste Mal an der Berliner Liste teil? Was sind deine Ziele und Erwartungen für unsere Messe?

JS: Ich habe keine wirklichen Ziele oder Erwartungen, aber viele neue Ideen, die darauf warten umgesetzt zu werden. Ich hoffe meine Arbeiten werden gut ankommen, damit ich wieder die Möglichkeit bekomme an der Liste auszustellen, weil mein nächstes Projekt, das ich im Kopf habe die Straßen von New York City in die Messe bringen möchte und ich denke die Leute werden es lieben.

Du musst für viele junge Künstler ein großes Idol sein, als jemand, der die Gesellschaft verändern möchte, die von den großen Konzerngiganten gesteuert ist. Willst du den jungen und von dir inspirierten Künstlern etwas mit auf den Weg geben an dieser Stelle?

JS: Manchmal überkommt einen ein Überforderungsgefühl bei dem Gedanken „das System“ verändern zu wollen und es kann einen stark blockieren seine Pläne umzusetzen. Es ist wichtig sich daran zu erinnern, das einfache Taten manchmal einen langen Weg brauchen, doch wenn man es geschafft hat Veränderungen zu erreichen, ist ein wichtiger Schritt getan, um damit andere motivieren und herausfordern zu können dasselbe zu tun. Wenn du dich überfordert fühlst, erinnere dich daran “Widerstand ist zwecklos, es sei denn er ist es nicht.“