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Märchenhafte Welten – Ein Streifzug durch die versponnenen Realitäten der Discovery Art Fair Frankfurt 2025

DAF M Luperz Entrance Holger Peters

Ein Märchen aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn…

Heinrich Heines Lorelei wirkt wie ein Zauber – genauso wie die diesjährige Discovery Art Fair in Frankfurt. Wer durch die Gänge der Kunstmesse schreitet, entdeckt einen roten Faden: eine Traumlandschaft moderner Märchen, verführerisch, fremd und bisweilen verstörend.

Philine Görnandt

Philine Görnandt

Juliane Hundertmark

Juliane Hundertmark

DAF M Luperz Entrance Holfer Peters

Entrance hall with M. Luperz sculptures, by Holger Peters

Wo das Märchen beginnt

Die Reise beginnt mit den Skulpturen von Markus Lüpertz, die sich am Eingang wie die verdrehten Stämme der Bäume eines verwunschenen Waldes erheben. Es sind imposante, hybride Wesen – zugleich Mensch und Tier, Gott und Monster in einem. Aus der Ferne erscheinen sie wie ein dunkler Hain, vor dem die Brüder Grimm gewarnt haben könnten. Sie heißen nicht willkommen; sie fordern heraus. Ihre Präsenz erinnert uns daran, dass jede Geschichte des Staunens mit einem Moment der Beklemmung beginnt.

Nur wenige Schritte weiter verändert sich die Atmosphäre. Hier schimmern Philine Görnandts Papierwelten in zartem Weiß. Filigrane, schwerelose Landschaften aus Flora und Bewegung. Ihre Kunst gleicht dem Eintritt in einen schneebedeckten Traum, in dem alles Fragile seine stille Kraft entfaltet.

Schließlich folgt Juliane Hundertmark, deren gemalte Szenen des „entlarvten Lebens“ die Illusion von Sicherheit zerreißen. Ihre Werke sind Jahrmärkte des Grotesken: vertraute Gesichter, verzerrt von Lachen und Angst, Schönheit, die ins Absurde kippt. Wie die alten Moralerzählungen zeigen sie, was sich hinter dem Charme verbirgt: ein Spiegel, der zu ehrlich ist, um ihn zu ignorieren.

Der internationale Pulsschlag der Messe ist in diesem Jahr besonders stark – und nirgends so eindringlich wie am Stand der Artertain Gallery aus Seoul. Ihr Auftritt gleicht einem Fiebertraum aus koreanischer Folklore, bevölkert von Wesen, die zugleich fremd und vertraut wirken. Wir mögen ihre Geschichten nicht kennen, doch das Gefühl ist unmittelbar: Faszination, Beklommenheit, Neugier. Diese Werke erinnern daran, dass Mythologie in universellen Symbolen spricht, auch wenn ihre Sprache uns fremd ist.

Am fernen Ende der Halle wartet ein einzelnes Geschöpf, in Stille gehüllt. Stefan Perethoners „Giraffe“, präsentiert von der Vijion Gallery, ist ein hybrides Waldwesen, teils Wächter, teils Wanderer. Seine ruhige, fast nymphenhafte Stille wirkt wie die Pause zwischen den Kapiteln einer Fabel, wenn der Wald selbst den Atem anhält.

Wolfgang Schaper fügt eine Note leiser Nostalgie hinzu. Sein „Forgotten Dance“ (Vergessener Tanz), ein einzelner eleganter Schuh, leuchtet wie ein Artefakt aus einem Traum. Es könnte Cinderellas verlorener Schuh sein – oder einfach die Hinterlassenschaft einer magischen Geschichte. Seine Werke, oft Steampunk-Porträts imaginierter Historien, sind Zeitmaschinen der Emotion: poetisch, melancholisch, zutiefst menschlich.

Roman Klonek, Artertain

Roman Klonek, Artertain

Stefan Perethoner - Giraffe

Stefan Perethoner – Giraffe

Wolfgang Schaper - Forgotten Dance

Wolfgang Schaper – Forgotten Dance

Zwischen Schönheit und Bestie

Nicht weit davon entfernt erscheinen „Prinzessinnen“ in vielerlei Gestalt. Olaf Jahnke malt sie in klassischer Anmut, zeitlose Gesichter, geprägt von Würde und Licht. Juliane Hundertmarks „Little Princess“ (Kleine Prinzessin) hingegen fletscht die Zähne: ein Wolf mit Tiara, eine verzerrte Echoform der Unschuld. Gemeinsam inszenieren sie den ewigen Tanz zwischen Schönheit und Bestie, Reinheit und Instinkt.

Aare Freimanns Wesen aus Ton wirken wie aus seltsamen Gleichnissen entnommen – eigenartig, zart und leicht fehl am Platz. Sie posieren, als wollten sie sich an die Geschichten erinnern, in denen sie einst vorkamen. Elda Serenade hingegen greift die Sprache der Märchensymbolik direkt auf: Äpfel, Blumen und strahlende Heldinnen. Ihre polierten Kompositionen berühren Archetypen, die keiner Übersetzung bedürfen.

Die Erzählung setzt sich fort mit Nam Yi Hyungs Tierwelten, in denen Freundschaft über Grenzen zwischen den Spezies hinweg erblüht. In einem Werk reitet ein Hase auf einer Gans, als überschreite er eine andere Sphäre. In einem anderen, betitelt Symbiosis, koexistieren Schwein, Eisbär, Tiger und Pinguin in unwahrscheinlicher Harmonie: eine spielerische, berührende Vision von Verbundenheit, die an Äsops Fabeln und ihre stille moralische Weisheit erinnert.

Aare Freimann

Aare Freimann

Olaf Jahnke

Olaf Jahnke

Nam Ji Hyung - Symbiosis

Nam Ji Hyung – Symbiosis

Juliane Hundertmark – Little Princess

Uralte Flammen und nördliche Schatten

Rashad Mehdiyev, vertreten von der Galerie Ismayilov, schöpft aus aserbaidschanischer Miniatur und persischer Mythologie. Sein Simurgh, der mythische Phönix, lodert hell als Symbol für Wiedergeburt und Erinnerung – eine Verbindung von uralter Tradition mit dem universellen menschlichen Drang zur Transzendenz.

Ganz in der Nähe wirkt der Stand der STALOWA Art Gallery wie ein aufgeschlagenes, reich illustriertes Märchenbuch. Kamil Stańczak zeigt traumhafte Visionen schwebender Figuren – friedlich, schwerelos, zwischen Wachen und Schlaf gefangen. Neben ihm kontrastiert Natasza Mirak diese Ruhe mit Werken von eindringlicher Emotionalität: Schönheit und Schmerz verflochten, gipfelnd in der eindringlichen Nachricht aus dem Norden, einer von Rabenschatten begleiteten Botschaft aus einer dunkleren Welt.

Auch die Fotografie stimmt in den Chor der Fabeln ein. Claudia Otto offenbart in der Alten Bäckerei in einem Bild eine subtile, hexenhafte Präsenz – ein Wispern des Übernatürlichen im Alltäglichen. In einem anderen interpretiert sie die Fabel vom Fuchs und den Trauben neu – ohne Fuchs und ohne Trauben, nur mit einer Frau, die Trauben als Krone trägt, als wollte sie andeuten, dass die Frucht nie unerreichbar war.

Natasza Mirak -Nachrichten aus dem Nord

Natasza Mirak -Nachrichten aus dem Nord

Kamil Stanczak

Kamil Stanczak

Rashad Mehdiyev -Simurgh

Rashad Mehdiyev -Simurgh

Claudia Otto

Claudia Otto

Die Rückkehr des Staunens

Wenn sich der Rundgang durch die Messe seinem Ende entgegen neigt, spürt man den Bogen einer vollendeten Geschichte. Von Dunkelheit zu Wunder, von Schrecken zu Hoffnung sind die Hallen der Discovery Art Fair zu einer Landschaft der Imagination geworden: ein kollektives Märchen, geschrieben von vielen Händen.

Und vielleicht liegt darin die eigentliche Magie: uns daran zu erinnern, dass unsere Kulturen zwar verschieden sind, dass die Träume jedoch unser geteiltes Gut sind.

Denn in der Kunst wie im Märchen kehren wir zu derselben Wahrheit zurück: dass imaginäre Monster oft weit weniger furchteinflößend sind als die wirklichen.

Die Discovery Art Fair Frankfurt läuft noch bis zum 9. November 2025 – treten Sie ein in die Geschichte, solange sie noch erzählt wird.

Aare Freimann

Aare Freimann

Titelbild: Holger Peters