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Die Sonderschau der DAF Frankfurt lädt ein zum Eintauchen in die Welt der immersiven Kunst

DAF Frankfurt Special Show overview

Vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, wurde weltweit menschlicher Kontakt – wahrscheinlich erstmalig in der Geschichte –auf ein Minimum reduziert. Diese von außen auferlegte, gleichsam notwendige Isolation hat alle Aspekte unseres Lebens beeinflusst, jede Entscheidung, alle Situationen. Zwar ist das Virus nicht gänzlich verschwunden, die Menschheit wendet sich heute jedoch wieder dem zu, was wir während der Isolation am meisten vermisst haben – dem wirklichen sozialen Leben.

Besonders stark von der Isolation betroffen war neben anderen Lebensbereichen unter anderem die Welt der Kunst, die vom Menschen und menschlichen Kontakten lebt. Sowohl auf Seiten der Kunstschaffenden, die sie am Leben erhalten, als auch seitens des Publikums, das sie rezipiert. Mit virtuellen Ausstellungen wurde versucht, die entstandene Lücke zu überbrücken, doch Kunst ist eben nicht nur zum Anschauen da, sondern auch zum Erleben, und genau daran mangelte es in dieser Zeit.

Nach all der kunstlosen Zeit war es nur folgerichtig, dass wir auf dem Weg zurück zu einer Kunstmessen-Normalität für eine zusätzliche Dosis Kreativität sorgen wollten. Auch daher trägt die Sonderschau der diesjährigen Discovery Art Fair in Frankfurt den Titel „Immersive Erfahrungen“. Die Entdeckermesse für zeitgenössische Kunst lädt uns nicht nur dazu ein, die Kunst zu betrachten, sondern mit ihr zu interagieren, in sie einzutauchen, eins mit dem Kunstwerk zu werden, die Idee des Künstlers zu komplettieren und den Durst nach Kunst wieder zu stillen. Der von Marc von Reth kuratierte Ausstellungsbereich der Messe bot eine Auswahl an Werken von musealer Qualität, die unsere Sinne wiedererweckten und Humor, Neugier und Fantasie anregten.

Jenny Brockmann Seat 12

Jenny Brockmann, Seat #12, Representation Dorothee Nilsson Gallery

Jan Glisman - Sind wir gleich da?, 2017

Jan Glisman – Sind wir gleich da? (Are we there yet?), 2017

Left: Micha Kuball - Making of Mnemosyne (After Aby Warburg) / Right: INS - Das Þ-Orakel

Left: Micha Kuball – Making of Mnemosyne (After Aby Warburg) / Right: INS – Das Þ-Orakel

Mit Marc von Reth durch die Sonderschau

Mehr über die Ausstellung erfuhr ich bei meiner Führung mit Marc von Reth, der die Idee hinter dem Konzept und den einzelnen Werken erläuterte, während wir gleichzeitig viel Freude bei der Interaktion mit den Kunstwerken hatten.

Beim Betreten der Messehalle werden wir von einer eher merkwürdigen Vorrichtung begrüßt, einer portalartigen Maschine, die an ein altes orthopädisches Gerät erinnert. Es handelt sich um Jenny Brockmanns „The Hug“, ein bekanntes Werk aus dem Jahr 2007, das von den grundlegendsten menschlichen Bedürfnissen inspiriert ist, nämlich „berührt, umarmt und gehalten zu werden“. Eine solch intuitive Eröffnung stimmt auf die Sonderausstellung ein, dieses Erlebnis, das anregen, unterhalten und die Kunstbetrachtung wieder menschlicher werden lässt.

Beim Gang durch die Ausstellung wurden unsere Sinne weiter angeregt: Wir tauchten tief in unsere Kindheit ein, in Konzepte menschlicher Zusammenarbeit, kollektive visuelle Geschichten, Neugierde, Verspieltheit, in Humor. Um auf Jenny Brockmanns „Seat #12“ zu balancieren, braucht man einen Partner als Gegengewicht und Ausgleich, bei der Betrachtung von Micha Kuballs „making of Mnemosyne (after Aby Warburg)“ kann man die Geschichte der Ästhetik und der Kunst miterleben, und bei Markus Buterkeits „Suspension – Saltation – Reptation“ fühlt man sich wie im Labor eines verrückten Wissenschaftlers und fragt sich, ob das Ganze wohl irgendwann explodiert. Gleich daneben ein Oldtimer, der von einem Gemälde von Karen Shahverdyan in die Realität überführt wurde und von zwei meisterhaften Klangkünstlern, die den Werken mithilfe von Klängen neues Leben einhauchen, weiter bereichert wird.

Sound artists Max Friedrich and Daniel Wolff

Sound artists Sebastian Welker and Daniel Wolff

Left: Konrad Wallmeier – Zuspruch / Right: Sabine Schäfer and Rosemarie Vollmer – Natura-Sonus, 2022

TŘČ & TMŠ - A Month of Sundays, 2022

TŘČ & TMŠ – A Month of Sundays, 2022

Visuelle Erlebnisse mit Sound unterlegt

„Wir nehmen uns dieser Werke an“, erklärten mir Daniel Wolff und Sebastian Welker, während sie weiter inspirierende Arbeiten aussuchen, um sie mit einer speziellen Sound-Applikation zu verbinden, die es dem Betrachter ermöglicht, das Werk über Kopfhörer zu hören. „Wenn es um Kunst geht, denken die Leute zuerst an das Sehen, das Betrachten. Aber wir vergessen dabei, dass auch Klang Kunst sein kann“, fährt Max von Reth an ihrer Stelle fort, während wir uns über ihre Ideen und die möglichen Anwendungen ihrer Software unterhalten. In der Tat erreicht ein visuelles Werk, sobald es mit einem Klang verbunden ist, eine Multidimensionalität, und der Betrachter wird in sie hineingezogen. Die Klangsoftware von Wolff und Welker hebt die üblichen Beschränkungen der Kunsterfahrung auf und kann bei einer großen Vielfalt an Kunstwerken in verschiedenen Räumlichkeiten und Gegebenheiten eingesetzt werden.

Auf dem Weg stellte mir der Kurator den Virtual-Reality-Raum von Simon Tretter vor und präsentierte eine erstaunliche Sicht auf die Bewahrung von Kunst in der an eine „Ausstellung-in-der-Ausstellung“-erinnernden Installation von TŘČ & TMŠ. Meine Vorstellungskraft wurde auf wunderbare Weise durch die außergewöhnlichen Apparate von Konrad Wallmeier angeregt, wohingegen das INS-Institut für Inszenierung von Sabine Reibeholz und Marc von Reth einen eigentümlichen Vintage-Raum mit einem Orakel und einer sehr aktuellen Gesellschaftskritik zur Absurdität von schlecht konzipiertem Aktivismus darbot.

Mit sensibilisiertem Blick und Gehör, geweckter Neugier und Fantasie, voller Emotionen und angeregten Geschichtswissen ging es dann zur Installation von Sabine Schäfer und Rosemarie Vollmer – dies ein Werk, das eine wunderbare Einheit zwischen Kunst und Wissenschaft darstellt, indem es mittels einer besonderen Technik die Geräusche von Fledermäusen wiedergibt.

Left: Markus Butkereit - Suspension - Saltation - Reptation, 2021 / Right: Siggi Hofer - New York/Chicago, 2022

Left: Markus Butkereit – Suspension – Saltation – Reptation, 2021 / Right: Siggi Hofer – Frankfurt, 2022

Bei der Kunst geht es um Spiel und Interaktion

Die Sonderausstellung der Discovery Art Fair Frankfurt endet mit drei spielerischen Arbeiten, die wie eine kleine, fesselnde Museumsschau wirken. Eine davon ist eine performative Hochhausrekonstruktion von Siggi Hofer mit dem Titel „Frankfurt 2022“, die während der gesamten Dauer der Messe als Echo der umliegenden Frankfurter Hochhäuser wächst und gut mit den dynamischen Bildern von Jan Glismann korrespondiert, der den Abriss des Hochhauses der Deutschen Welle in Köln dokumentiert hat.

Eine der faszinierendsten Arbeiten ist schließlich die von Ralf Kopp. Als soziales Experiment gedacht, hat der Künstler die Worte TRUTH in der Messehalle und die deutsche Entsprechung WAHRHEIT außerhalb der Halle auf der Straße angebracht, die vollständig aus 1-Cent-Münzen bestehen. Jedes Wort besteht aus echtem Geld im Wert von mehreren Hundert Euro und passt perfekt in die Gegenwart, indem es die Art und Weise hinterfragt, wie wir Kunst betrachten, unser Verhalten ihr gegenüber, unsere Bedürfnisse und unsere Prioritäten. Das Stück wird auf dem Boden ausgestellt, kann aber auch zerstört werden. Tatsächlich wurde die WAHRHEIT am Eröffnungsabend der Messe von einer unbekannten Person eingesammelt, und was mit der TRUTH geschehen wird, bleibt abzuwarten.

Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass die Besucher:innen in der Messehalle die gleiche Gier an den Tag legen. Aber spaßeshalber lasse ich mir vielleicht von einem Kunstwerk eine Tasse Kaffee spendieren, um zu sehen, wie es sich anfühlt.

Als wir das Ende der Sonderausstellung erreicht hatten, fühlte ich mich wie nach einem Aufenthalt im Wellnesscenter der Sinne. Meine Wahrnehmung war geschärft, mein Blick erweitert, meine Gedanken waren angeregt worden. Nach einer dermaßen kathartischen Erfahrung dachte ich darüber nach, wie groß meine persönlichen Bedürfnisse an Kunst sind und wie wir alle davon profitieren können, komplett in sie einzutauchen, ohne Barrieren, und hautnah.

Ralf Kopp - Gier frisst, 2022

Ralf Kopp – Gier frisst, 2022

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Die Sonderschau der Discovery Art Fair Frankfurt 2022 ist noch bis zum 6. November 2022 zu sehen und zu erleben. Alle ausgestellten Werke werden zum Verkauf angeboten.

Featured image copyright Thomas Gessner