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Interview mit dem Direktor der BERLINER LISTE Jörgen Golz · Auf Entdeckungstour von zeitgenössischer Kunst und Künstlern

In diesem Jahr wird Jörgen Golz bereits zum fünften Mal die Berliner Liste leiten, eine der größten Messen für zeitgenössische Kunst in der Hauptstadt. Für die diesjährige 13. Ausgabe der Messe sind viele Erneuerungen geplant, darunter auch ein neuer Schwerpunktbereich, der sich der jungen Kunstform Urban Art widmet. Jedes Jahr heißen Jörgen Golz und sein Team Galerien, Künstler und Kunstkenner aus der ganzen Welt willkommen und schaffen einen Raum zum Erleben von Kunst, Austausch und Teilen von Erfahrungen. Sein Grundsatz lautet, dass Kunst offen und zugänglich sein soll. Die Messe hat er daher nicht nur als einen Handelsplatz geschaffen, sondern auch als Ort des Schaffens, wo neue Ideen geboren werden und die kreative Atmosphäre neue Impulse setzt.

Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Messe sich weiter festigt, aber Herr Golz hat als CEO der Messe dieser auch einen positiven Anstrich verliehen, die ihm und den Teilnehmern der Messe genügend Momente für Gespräche, Vorstellungen und kreative Impulse bietet. Als er 2012 zum geschäftsführenden Direktor berufen wurde, machte er schnell deutlich, dass er sich für die Alleinstellungsmerkmale der Messe einsetzen würde und insbesondere den Standort Berlin herausheben will. Die Stadt hat sich schon längst international als eine der wichtigsten Kulturmetropolen einen Namen gemacht. Jörgen Golz glaubt daran, dass Kunst eine bedeutende Rolle einnehmen kann, um unseren Alltag besser zu machen. Bodenständig und ehrlich unterstreicht der Direktor die Bildungsaufgabe von Kunst, neben ihren anderen Qualitäten, und verweißt auf den langen Kampf bis Bildung endlich erschwinglich und zugänglich für die Allgemeinheit wurde. Für ihn sollte die Gesellschaft danach streben, Kunst ebenfalls erschwinglich zu machen und Kreativität und Vorstellungskraft fördern, um das Leben zufriedener und glücklicher zu machen.

Dieses Jahr feiert die BERLINER LISTE ihre 13. Ausgabe. Welche Erwartungen haben Sie an die Messe?

Jörgen Golz: Wir erwarten wieder über 120 Aussteller aus mindestens 20 Nationen, rund 15.000 Besucher, einen lebendigen Austausch zwischen allen Beteiligten und mehrere tausend spannende, frische und kontroverse Kunstwerke. Ich persönlich freue mich auf ein Wiedersehen mit lieb gewonnenen Ausstellern, die ich z.T. seit einem Jahr nicht gesehen habe und hunderte von Gesprächen, die jedes Jahr neue Perspektiven und Möglichkeiten bieten. Am meisten sind wir alle natürlich auf die neuen Arbeiten gespannt. Ich hoffe auf möglichst viele Wow-Effekte und freue mich auf die kleinen poetischen Momente, wenn ein Werk berührt. Ich hoffe, dass wir dazu beitragen können, dass Berlin nicht nur als Produktionsort für Kunst, sondern auch als Handelsplatz für Kunst, zu weltweiter Bedeutung aufsteigt.

Können Sie uns bereits etwas über die diesjährige Programmatik der Messe sagen? Auf welche Highlights dürfen die Besucher sich freuen?

JG: Die grundsätzliche Struktur der Messe gliedert sich in vier Bereiche:
1. Artist Section
2. Gallery Section
3. Photography Section
4. Urban Art Section
Zudem zeigen wir 2016 die Sonderausstellung JYAG mit über 130 jungen Japanischen Positionen, kuratiert durch den Künstler und Galeristen Rin Terada. Er stiftet auch das Preisgeld in Höhe von 1.000.000 Japanischen Yen – das entspricht ungefähr 8.500 Euro – mitdem wir einen Künstler aus dieser Gruppe auszeichnen werden. Außerdem setzen wir einen Taiwanesischen Schwerpunkt und zeigen auch Künstler aus China. Die diesjährige BERLNER LISTE ist somit auch ein Fenster in die asiatische Kunstwelt. Was der Besucher weiterhin wissen sollte, ist eine einzigartige Besonderheit der Messe: Wir bietet auch Einzelkünstlern und Projekträumen die Möglichkeit, sich in einem künstlerisch und architektonisch anspruchsvollen Rahmen zu präsentieren. Wir verstehen uns als Forum für aufstrebende, internationale Kunst zu moderaten Preisen von 500 bis 7.500 Euro. Hier kann man Kunst noch ohne Spekulationszuschlag erwerben, z.T. sogar direkt vom Erschaffer.
Die bunte, vielfältige Messe im Kraftwerk wird ein Erlebnis. Für das leibliche Wohl ist drinnen und draußen gesorgt und es gibt genügend Ruhezonen, wenn die Füße eine Pause brauchen.

Seid Sie 2012 zum neuen Leiter der BERLINER LISTE berufen wurden, gab es zwar Veränderungen, diese wurden aber nicht von einem radikalen neuen Konzept eingeleitet. Man hat eher das Gefühl, dass Sie sich auf die Wurzeln der Messe besinnen und die BERLINER LISTE zu Ihren Ursprüngen als Messe für Entdeckungen führen, als sich auf großen Namen auszuruhen. Wie hat sich die Messe über die Zeit verändert?

JG: Die BERLINER LISTE war bei ihrer Entstehung eine Entdeckermesse für zeitgenössische, junge Kunst und ist es immer noch. Aber ja, sie hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Sie wurde 2004 von dem Berliner Galeristen Dr. Wolfram Völcker initiiert und ist aus dem Wunsch heraus geboren worden, der damaligen Dominanz des Art Forums eine unabhängige Satellitenmesse gegenüber zu stellen. Nach dem Wegfall des Art Forums 2011 ist die BERLINER LISTE die älteste und größte Kunstmesse der Hauptstadt. Damit haben wir in Berlin die vermutlich weltweit einzigartige und ein wenig absurde Situation, dass die Hauptmesse nicht mehr existiert, aber ihr Satellit weiterhin überaus erfolgreich agiert.

Die Messe ist gewachsen. Zuerst einmal quantitativ: Begonnen hat alles mit einer Gruppe von etwas über 40 Ausstellern. Seit 2012 hat sich die Zahl der teilnehmenden Aussteller bei ca. 120 bis 130 aus 20 bis 30 verschiedenen Nationen eingependelt. Sie belegt inzwischen eine Messegesamtfläche von über 5.000 qm.
Die Besucherzahlen wachsen jedes Jahr kontinuierlich an. Im letzten Jahr fanden über 10.000 Besucher den Weg in das Kraftwerk und es wäre ein toller Triumph, wenn wir in diesem Jahr die 15.000er Marke knacken. Mein Anspruch ist es, auch für ein qualitatives Wachstum zu sorgen. Seit 2012 garantierte zuerst ein, jetzt mehrere unabhängige Kuratoren für mehr Qualität. Aber trotz aller kuratorischer Selektion darf die Vielfalt nicht leiden.

Was auch neu ist: Seit 2014 hat die Messe einen rheinischen Ableger, die KÖLNER LISTE, die jährlich parallel zur Art Cologne stattfindet.

Die BERLINER LISTE zeigt zwar auch etablierte Galerien und namhafte Künstler es scheint aber, dass der Fokus auf der Förderung von jungen Positionen liegt. Wie sehen Ihre Pläne mit jüngeren Nachwuchskünstlern aus?

JG: Ja es stimmt: Wir bieten auch etablierte Positionen an, denn wir müssen unseren Besuchern ein ausgewogenes Sortiment anbieten. Nur Cutting Edge mit rostigen Nägeln und toten Tieren funktioniert nicht. Der Schwerpunkt liegt aber auf den neuen, jungen Positionen. Aus diesem Grunde bieten wir nicht nur eine effektive Verkaufsplattform zu günstigen Konditionen an, wir unterstützen unsere Aussteller wo immer Hilfe notwendig ist: z.B. bei der Hängung, mit vorgefertigten Kaufverträgen, Beratung bei der Auswahl der Exponate. Außerdem bieten wir die Unterstützung durch ein kostenfreies Coaching, um die fünf anstrengenden Messetage erfolgreich zu meistern. Wir hoffen, im nächsten Jahr ein Programm anbieten zu können, indem Unternehmen die Patenschaften für Künstler übernehmen. Dies bedeutet nicht nur eine Zusammenarbeit zwischen Künstler und Unternehmen, sondern auch die Möglichkeit für den Künstler, kostenfrei auf der BELINER LISTE auszustellen.

Die BERLINER LISTE zeigt immer wieder ungewöhnliche Künstler und ist für unkonventionelle Überraschungen gut. Wie kann man sich den Auswahlprozess für die Messe vorstellen?

JG: Es beginnt schon früh, nämlich bei der Ausschreibung. Wir geben die Ausschreibung international bekannt und selektieren die weltweiten Antworten. Wir senden über eine Vielzahl von Medien und mit Unterstützung von vielen Multiplikatoren. So erhalten wir einen ungefilterten Lackmustest, von dem, was sich in der weltweiten Kunstgemeinde entwickelt. Um eine gesunde, vielfältige Mischung aus neuen und etablierten Positionen zu gewährleisten, sprechen wir zusätzlich potenzielle Aussteller gezielt an, die in unser Programm passen.

Es gibt eine Tendenz, dass Kunst immer häufiger die Galerieräume verlässt und stattdessen auf der Straße zu finden ist. Wie antwortet die Messe auf diese Veränderung?

JG: Die Messe ist lebendig und erfindet sich jedes Jahr neu. Wir erschließen neue Zielgruppen, und nutzen für den Kunstmarkt auch ungewöhnliche Kommunikationswege. Dem Kurator der Urban Art Section, Guillaume Trotin, obliegt es in Abstimmung mit seinen Ausstellern ein (Messe-) Format zu definieren, das sie für sich selbst am geeignetsten betrachten. Ob das die klassische White Cube Architektur sein wird, werden wir im September sehen.
Außerdem bieten wir im Rahmen der Messe geführte Street Art Touren an und schaffen damit eine Verbindung zur Kunst im Berliner Straßenbild.

Einige Ihrer internationalen Aussteller reisen mit Ihren Werken um den halben Globus, um an der BERLINER LISTE teilzunehmen. Ist das internationale Interesse an der Messe in den vergangenen drei Jahren gewachsen?

JG: Mein Ziel ist es, die Messe noch internationaler auszurichten. Mit Ausstellern aus 24 Nationen im letzten Jahr sind wir schon auf einem guten Weg. Ich bin gespannt, wie viele Länder in diesem Jahr vertreten sein werden. Berlin ist ein internationaler Melting Pot und die BERLINER LISTE als DIE Hauptstadtmesse spiegelt das wider.

Sie brechen mit dem Vorurteil, dass Kunst ausschließlich etwas für einige Wenige aus der Elite sei. Im Verlauf Ihrer Geschichte, war Kunst aber immer in der Hand der Reichen. Glauben Sie daran, dass Kunst zur Festen Säule in einer Gesellschaft werden kann?

JG: Unbedingt. Die monarchistischen und feudalen Gesellschaftsstrukturen haben sich als ungerecht und nicht zielführend erwiesen. Die Dosierung von Bildung als Steuerungsmittel der Macht ist nur zutiefst durchsichtig, aber leider auch effektiv. Aber selbst die katholische Kirche hat inzwischen von diesem Machtinstrument abgelassen. Bildung gehört allen und die Kunst hilft uns, unseren Charakter auszubilden. Kunst gehört in die Mitte der Gesellschaft. Unsere Messen werden u.a. deswegen besucht, weil sie eine kommunikative und offene Atmosphäre bieten – nichts Elitäres, keine Zugangsbarrieren. Ein Schritt auf diesem Weg in die gesellschaftliche Mitte, dort wo der Künstler und die Kunst hingehören. Künstler sind innovative Köpfe. Sie denken neue Arbeitsweisen und Lebensentwürfe, die erst später von der Gesellschaft übernommen werden. Ich denke gerade an den Zusammenschluss von Künstlern zu losen und temporären Arbeits- und Zweckgemeinschaften, ihren internationalen Vernetzungsgrad und ihre weltweite Mobilität. Ich bin sicher, dass das die Blaupause für unsere zukünftige Arbeitswelt sein wird.

Wie halten Sie die Waage zwischen professionellen und unprofessionellen Ausstellern, ohne die Qualität der Messe zu gefährden?

JG: Wer behauptet denn, dass sogenannte professionelle Aussteller die bessere Kunst bieten? Wir sollten uns von solchen überholten Begrifflichkeiten verabschieden. So viele gute (Galerie)-Programme fallen durch das Raster des Kunstmarktes, weil z.B. der Inhaber einen Beruf ausübt um die Startphase seiner Galerie zu finanzieren. Auch unter den Autodidakten gibt es Ausnahmetalente, die es sich zu zeigen lohnt.
Es geht nicht mehr um die Unterscheidung zwischen professionell und unprofessionell, es geht um die Sichtbarmachung von Exzellenz. Unser Anliegen ist es, unseren Besuchern eine große Vielfalt an guten Werken zu präsentieren. Das Ergebnis, das Werk zählt, nicht sein Entstehungsprozess und nicht seine Herkunft, diese sind nur Konnotationen.

Glauben Sie daran, dass erschwingliche, neue und innovative Kunst verhelfen kann die Welt zu verändern?

JG: Ich bin nicht der Überzeugung, dass Kunst eine Revolution auslösen wird. Aber sie löscht unseren Durst nach etwas metaphysischem in unserem Leben. Wer kann uns in unserem antagonistischen Leben Orientierung bieten? Weder der Gott Konsum, noch die Kirche, die Politik sowieso nicht und die Philosophie enttäuscht. Die menschliche Kreativität ist ein nicht enden wollender Rohstoff, der uns dabei hilft, mit dem anderen auf einer besonderen Ebene in Kommunikation zu treten, um die drängenden Fragen um unsere Existenz und unsere Zukunft zu beantworten. Kunst ist – sofern sie nicht zum reinen Spekulationsobjekt verkommt – ein göttliches Tool, um uns und diese Welt, Stück für Stück, ein bisschen besser werden zu lassen.